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Dorothy Crowfoot Hodgkin (12.05.1910 – 29.07.1994)

Dorothy Crowfoot Hodgkin (12.05.1910 – 29.07.1994)

Strukturchemikerin, Nobelpreisträgerin &… Mutter

Dorothy Hodgkin war die fünfte Frau, der ein Nobelpreis zuerkannt wurde und die Dritte – nach Marie Curie (1867-1934) und deren Tochter Irene Joliot-Curie (1897-1956) – die den Nobelpreis für Chemie erhielt.

Geboren wurde sie als Dorothy Mary Crowfoot 1910 in Kairo als älteste Tochter britischer Eltern, ihr erstes Jahrzehnt erlebte sie im Sudan. Schon als Kind war sie unternehmungslustig und experimentierfreudig. Um die Wißbegierde der Tochter zu befriedigen, mußte die Mutter immer neue Literatur herbeischaffen.

So erfuhr Dorothy Crowfoot frühzeitig auch von der Röntgenstrukturanalyse, deren methodische Grundlagen gerade erst 1913 von William Bragg (1862-1942) und seinem Sohn Lawrence (1890-1971) entwickelt worden waren. Mit diesem Verfahren ist es möglich, über die Beugung von Röntgenstrahlen am Kristallgitter auf die Struktur des Kristalls zu schließen, unter anderem auch von einer für das Leben ausnehmend wichtigen Stoffklasse – den Proteinen. Für Dorothy Crowfoot war klar, das dies das Gebiet sein würde, mit dem sie sich beschäftigen wollte.

Folglich begann sie 1928 in Oxford Chemie zu studieren. 1932 schloß sie ihr Studium mit einer Arbeit ab, mit der sie bereits die Aufmerksamkeit ihrer Kollegen auf sich zog.

Optimale Bedingungen um als Kristallographin zu arbeiten, fand Dorothy Crowfoot in Cambridge im Labor von John Bernal (1901-1971). Er war Mitglied der Kommunistischen Partei Englands und beeinflußte auch ihr privates Leben. Seither trat sie für Frieden und Völkerverständigung ein, wofür sie 1987 den von der Sowjetunion ausgerichteten Lenin-Friedenspreis erhielt.

Die wissenschaftliche Arbeit stand jedoch immer im Vordergrund. Sie untersuchte Pepsin, ein proteinspaltendes Verdauungsenzym des Magensaftes, und fertigte bis 1935 eine Doktorarbeit über Sterole an, eine Stoffklasse der Fette, zu der auch das Cholesterin gehört.

Geradezu leidenschaftlich gepackt hatte Dorothy Crowfoot jedoch das Insulin. 1934 – sie war inzwischen wieder nach Oxford zurückgekehrt – gelang es ihr als erster, eine Röntgenaufnahme des Proteins anzufertigen. Den Erfolg, im Gegensatz zu vielen männlichen Kollegen, verdankte sie ihrer Sorgfalt, ihrer Geduld und ihrem Mut, auch scheinbar unmögliche Herausforderungen anzunehmen. Eine Röntgenstrukturaufnahme kostete fast 24 Stunden absoluter Ruhe – doch die Aufnahme selbst ist nur die eine Sache. Um die Struktur eines Kristalls daraus zu ermitteln, sind komplizierte, langwierige Berechnungen nötig, und Computer gab es damals noch nicht. So mußte die Analyse großer und komplexer Proteine erst die Entwicklung der Rechentechnik abwarten, und Dorothy’s Geduld und Ausdauer wurden auf eine harte Probe gestellt.

1937 heiratete sie den Kommunisten Thomas Hodgkin, übrigens ein Nachfahre des gleichnamigen Arztes (1798-1866), der 1832 einen auch »Morbus Hodgkin« genannten Lymphknotenkrebs beschrieben hatte. Den Namen ‚Hodgkin‘ verwandte Dorothy aber erst über zehn Jahre später, da sie zunächst befürchtete, unter neuem Namen wissenschaftlich von vorn beginnen zu müssen. Das war keineswegs das einzige Problem, mit dem sie sich als Frau in einer völlig auf Männer ausgerichteten Wissenschaft auseinandersetzen mußte – ein Hintergrund, den man nicht vergessen sollte. Als 1938 ihr ältester Sohn zur Welt kam, erhielt sie als erste Frau in Oxford Mutterschaftsurlaub. Erst 1944 wurde bei ihrer zweiten Schwangerschaft eine Regelung geschaffen, nach der werdenden Müttern ein bezahlter dreimonatiger Urlaub zustand.

Mit der ersten Geburt brach aber auch ein weitaus wesentlicheres Problem über Dorothy Hodgkin herein, dessen schmerzhafte Vorboten sie schon längere Zeit spüren konnte: eine schwere rheumatische Arthritis. Die Beweglichkeit ihrer Hände war bald stark beschränkt; eine Beeinträchtigung, die sie ihre Arbeit mit viel Willen nicht spüren lassen wollte.

Während des II. Weltkriegs trat eine Substanz ihren Siegeszug an, die bereits 1928 von Alexander Fleming (1881-1955) entdeckt worden war: das Penicillin. Dorothy Hodgkin klärte bis 1949 dessen Struktur auf, wobei sie nach der Pionierarbeit von Howard Aiken zunehmend in ersten Rechnern Unterstützung fand. Ihre Zwischenergebnisse stellte sie bereitwillig der pharmazeutischen Industrie zur Verfügung, die danach eine Vielfalt halbsynthetischer Antibiotika herstellen konnten.

Im Anschluß suchte Dorothy Hodgkin eine neue Herausforderung und fand sie in dem nicht gerade kleinen Molekül Vitamin B12, dessen Struktur sie 1955 vorlegte. Für diese Leistung erhielt 1956 als erste Frau die Royal Medal der Royal Society. 1964 folgte der Nobelpreis für Chemie, und die englische Presse verkündete irritiert, daß der Nobelpreis einer dreifachen Mutter zuerkannt worden war.

Erst 1969 konnte Dorothy Hodgkin die endgültige Struktur des Insulins veröffentlichen – über 35 Jahre harte Arbeit hatten dieser Entdeckung bedurft! Inzwischen war sie aufgrund ihrer Ehrungen zu einer Person des öffentlichen Interesses geworden und nutzte diese Position auch für eine Verständigung der Wissenschaftler aus Ost und West.

Dorothy Mary Crowfoot Hodgkin starb am 29. Juli 1994. Am 12. Mai wäre sie 95 Jahre alt geworden.